ao.Univ.Prof.Dr. Martin Neumann
Institut für Experimentalphysik, Universität Wien

Computational Physics - Simulation des Koronarkreislaufs

Der Koronarkreislauf ist nicht nur wegen seiner Anfälligkeit für Zivilisationskrankheiten eines der am intensivsten untersuchten physiologischen Systeme, auch von einem rein mechanistischen Standpunkt finden sich in ihm eine Reihe von interessanten Konstruktionsprinzipien verwirklicht: So nimmt - wie in anderen Organen auch - im arteriellen Gefäßbaum bei jeder Bifurkation die Querschnittsfläche der Gefäße systematisch zu, wodurch sich die in den größeren Arterien noch durchaus beachtliche Strömungsgeschwindigkeit des Blutes bis in die Mikrozirkulation so verlangsamt, daß dort diffusiver Stofftransport mit dem umgebenden Gewebe möglich wird. Die Besonderheit des Koronarkreislaufs besteht jedoch darin, daß durch die periodische Kontraktion des Myokards die in ihm verlaufenden Gefäße natürlich ebenfalls komprimiert werden. Da sich dadurch der Strömungswiderstand erhöht, scheint es zunächst, als würde der Herzmuskel seine eigene Versorgung behindern; tatsächlich wird aber gerade damit ein zeitlich ausgeglichenerer Blutfluß erreicht. Ein weiteres, damit zusammenhängendes Bauprinzip bewirkt, daß große Transportgefäße an der Herzoberfläche verlaufen und nur die kleineren Versorgungsgefäße tiefer in die Herzwand eintauchen.

Wir beschäftigen uns im Rahmen einer Arbeitsgruppe für Biomedizinische Computersimulation (mit Schwerpunkt am Institut für Medizinische Computerwissenschaften) seit längerem mit der Entwicklung eines "mikroskopischen" Modells (im Gegensatz zu phänomenologischen Compartment-Modellen) für die wesentlichsten Komponenten des Koronarkreislaufs, mit dessen Hilfe es möglich sein soll, Druck- und Flußverhältnisse im Gefäßbaum räumlich und zeitlich aufgelöst im Detail zu untersuchen. Ausgangspunkt ist ein Optimierungsverfahren zur Erzeugung von dreidimensionalen Baumstrukturen, die in ihren statistischen Eigenschaften den topologischen und geometrischen Kenngrößen realer Gefäßbäume sehr nahekommen. Diese synthetischen Gefäßbäume bilden dann die Grundlage für die eigentlichen hämodynamischen Simulationen.

Neben dem rein grundlagenwissenschaftlichen Interesse besteht eine der primären Motivationen für unsere Arbeit in der Überzeugung, daß biomedizinische Simulationen einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Tierversuchen liefern können. Ein etwas längerfristiges Ziel ist, Simulationsmethoden in der Operationsplanung, im konkreten Fall also z.B. bei Bypass-Operation, einsetzen zu können.